Förderpreise 1988, Monographienreihe des Kulturreferats der Landeshauptstadt München

Der beobachtete Beobachter oder der ganz normale Wahnsinn

Zugegeben, der erste Teil des Titels ist von Dürrenmatts Novelle in vierundzwanzig Sätzen »Der Auftrag« entliehen, aber Dürrenmatt beschreibt darin ziemlich genau das, was Emö Simonyi beim Malen so durch den Kopf geht. Sie fühlt sich dann manchmal wie ein Voyeur, dem die ganze Welt zuschaut. Sobald sie nämlich das Ergebnis ihrer Beobachtungen auf das Papier oder die Leinwand bringt, gibt sie etwas von ihren Geheimnissen preis, aber »fortunately«, würde Niki de Saint Phalle sagen, »people don't see what they see.«
Emö Simonyi sieht, was sie sieht, nur meist ein wenig mehr als andere. Angefangen hat das bereits während ihrer künstlerischen Ausbildung. Damals in Budapest mußte sie das Zeichnen am vorgegebenen Sujet üben, so genau und akademisch wie möglich. Diesem Zwang konnte sie nur subversiv begegnen. Mit winzigen Abweichungen gab sie dem angestrebten wirklichkeitsgetreuen Abbild eine einseitige Übersteigerung in der Form. In diesem Spiel des Ungehorsams liegt der Keim für eine Reihe früher surrealer Zeichnungen, in denen Manhattan als dynamisch auseinanderstrebendes Flaschengebirge erscheint, in denen Pferde, Hunde, Sphinxen und Gegenstände des Alltags sich in alptraumhafte Gebilde verwandeln.

»New York VII«, 1980, Bleistiftzeichnung, 88x62 cm

Überall sah sie einen nach geheimen Gesetzen wuchernden Dschungel. Kafkaeske Vorstellungen von einem System, dem alle ausgeliefert sind, ohne jedoch die Geheimnisse seines Mechanismus zu kennen, sprechen aus diesen frühen, perfekten, aber irgendwie auch seelenlosen Zeichnungen. Immerhin hat sich Emö damals eine Art Grundvokabular in Bildern erarbeitet, auf das sie heute gerne zurückgreift. Nur die Beklemmung, die von diesen erstarrten Bildwelten ausgeht, löst sie längst mit einem gehörigen Schuß schwarzen Humors. Sie deckt die Komik in den Banalitäten des Alltags auf und führt damit den so drohend sich gebärdenden Mechanismus als ganz normalen Wahnsinn vor. Ihre ver-rückte Sehweise wärmt sie jetzt schon mal bei geistigen Verwandten auf. Neben einer Anthologie des schwarzen Humors von André Breton hat es ihr besonders Marquis de Sade und der fast vergessene Carl Einstein angetan. Dessen 1906/09 erschienener Roman »Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders« inspirierte sie zu einer Zeichnungsserie. Seine despektierlich-realistischen Überlegungen zum bürokratischen Tod aller revolutionären Ideen verführte sie zu einer neuen Version von Marats Tod. Aus dem in Schönheit sterbenden Helden bei Jacques-Louis David wurde bei ihr ein faules Monstrum, dem selbst die Badewanne zu klein geworden ist. Das entspricht ganz der Grundanschauung Einsteins, daß alle geistigen Höhen flüge des Menschen von seinem stets hungrigen Bauch gebremst werden. Der große Revolutionär wird zum Verwalter, zum Bürokraten und setzt Fett an.
Vor-Bilder findet Emö Simonyi aber auch in den Resten historischer und prähistorischer Zeit. Die urtümliche Kraft der in riesigen Blöcken sich auftürmenden Ahnenfiguren und Tiergesichter der Steinzeit hat sie ebenso nachhaltig beeindruckt wie die erstarrte Welt von Pompeji. Dort fand sie in den Abgüssen der sich angesichts der Katastrophe schützend einrollenden Hunde genau die Haltung, die sie ihren Tierfiguren häufig gibt.

»Chien Andalou II«, 1977, Mischtechnik auf Papier, 88x62cm

Aber so direkte formale Verbindungen sind bei ihr eher selten. Ihre Vorstellungskraft verwandelt Gesehenes, Gehörtes und Gelesenes sofort in ganz eigene Bilder. So erinnern die »Sumo-Ringer« (1986) vor allem durch das Halbrund, das ihnen als Handlungsplattform zugewiesen wird, zwar an Francis Bacon, aber wie diese fettleibigen Kämpfer den Bildraum durch ihre ungeheuerliche, körperliche Gegenwärtigkeit ausfüllen und wie sie ihnen mit einer bluttriefenden Farbigkeit eine endlos ineinander verknäulte, aber rein formal gelöste Verstrickung mitgibt, das ist dann doch ganz ihre Bildsprache. Die ebenfalls an Baconschen Kompositionsschemata orientierten »Rollschuhläuferinnen« (1986) sind in ihrer rasanten Kraftmeierei schon fast eine Persiflage auf jeglichen vordergründigen Tiefgang in der Darstellung der Welt.

»Saurier« 1986, Mischtechnik auf Packpapier, 100x70cm

Emö Simonyi liebt auch die Affen im Käfig, weil da nie so klar ist, wer nun wen beobachtet. Sie malt menschliche Wesen, die sie »Saurier« nennt, den »Gesang der Jünglinge im Feuerofen«, Feuergötter und Schimären, nicht weil sie das Verbrannte reizt, sondern weil ihre Malerei etwas von lodernden Flammen hat.
Im Jahr 1987 hat sich ihre nervöse, eruptive, in schmerzenden Kontrasten sich selbst verzehrende und immer neu gebärende Malerei etwas beruhigt. Zwischen wilden Pinselgewittern tauchen immer öfter einheitlichere Farbflächen auf, die dem Auge eine Verschnaufpause gönnen. Hinzugekommen ist das neue/alte Thema: der ganz normale Alltag. Ein Stuhl, ein Benzintank oder eine überdimensionale Schere treten vollplastisch an das Bild heran oder aus ihm heraus. Die malerischen Visionen nehmen Gestalt an und werden konkret. Der Bruch liegt jetzt in der Verbindung von Wirklichkeit und Vorstellung.

»Botafogo« 1985, Mischtechnik auf Leinwand. 189x 192cm

Was aus einer altmodischen Badewanne alles herausquellen kann, das kann nur jemand »sehen«, der fähig ist, den ganz normalen Wahnsinn im ganz normalen Alltag zu erkennen. Daß dieser normale Wahnsinn mittlerweile zum Thema des Tages geworden ist, weil wir mit unseren technischen Erfindungen, unseren Lebensgewohnheiten und unserer hemmungslosen Verbrauchermentalität das zerstören, wovon wir leben, hat die Malerin gelehrt, daß die Wirklichkeit vielleicht noch schwärzer als der schwarze Humor ist. So hat sie ihrer umgekippten Badewanne den ernsten Titel »Entsorgung« gegeben. Aber wie immer bei ihr, hat alles zwei Seiten. Nicht daß sie Ernstes nicht ernst nähme, aber Leid und Lust liegen doch zu nahe beieinander. »Up and down« heißt deshalb eines ihrer »Schlüsselbilder«, in dem zwei ihrer expressiven Menschenwesen inmitten einer düsteren Farborgie sich auf einer ganz normalen Wippe »vergnügen«.

         Hanne Weskott (im April 1988)

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