Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart Jg. 3 (2002), Heft 4
Paperworks
zeigt Arbeiten - jeweils auf Papier - von drei Künstlern, die, international
bekannt, Dozenten an der Marburger Sommerakademie sind. Die Akademie, 1977 auf
Anregung Luisa Bilands gegründet, feiert in diesem Jahr ihr 25-jähriges
Bestehen (s. das Vorwort zum Katalog von Egon Vaupel, Bürgermeister und
Kulturdezernent der Stadt Marburg und Dr. Gerhard Pätzold, Leiter der
Kunsthalle).
Emö
Simonyi, 1943 in Budapest geboren, lebt in München. Sie bemalt Kartons,
"die nicht als einzelnes Element ein Eigenleben führen, sondern erst durch
das Ineinanderschachteln und Übereinanderbauen der einzelnen Teile zu einem
Ganzen zusammenwachsen" (Karin Stichnothe-Botschafter/Britta Sprengel in
ihren Erläuterungen zu den Künstlern, Katalog, S. 24). Die "MalereiSkulpturen"
sind teilweise mehr als drei Meter hoch - die in Marburg gezeigten erreichen
immerhin 2,80 m - , ihre Farben zeigen eine gewisse Verwandtschaft zu den
"Neuen Wilden" (s. Katalog, S. 24).
Sieht
man die Kuben der Kartons, so stellt sich unwillkürlich eine kindliche
Erinnerung ein, nämlich an kleine Würfel, deren sechs Flächen jeweils mit einem
anderen Bildausschnitt eines Märchenmotivs beklebt waren. Die Aufgabe bestand
natürlich darin, die insgesamt vielleicht sechsunddreißig Teile richtig
zusammenzufügen, um eine Szene aus "Hänsel und Gretel" oder dem "Gestiefelten
Kater" zu erhalten. Bei Emö Simonyi geht es raffinierter zu, schon weil
die Würfel hier wirklich in den Raum treten und nicht nur Träger einer
Farbfläche sind. Aber die Größe der Karton-Plastiken und der
ungeschützt-"naive" Ausdruck ihrer Bemalung synthetisiert sich zu
einem merkwürdigen Ergebnis. Gewaltsames und Kindliches gehen eine Verbindung
ein, deren Expressivität eine innere Schicht des Betrachters anrührt. Die sich
einstellende Wehmut resultiert nicht nur aus dem dargestellten Schmerz etwa
eines aufgerissenen Mundes mit blutigen Zähnen ("Gefallene"), sondern
stammt auch aus einer direkt nicht wahrnehmbaren Zone des Mythischen oder
Märchens, in der nach wie vor archetypische Gesten, Gefühle und Situationen
gespeichert sind. Offenbar dringt Emö Simonyis Kunst in diesen Bereich vor und
stimuliert in ihm eine Resonanz.
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Max
Lorenzen