Otto Pannewitz
M.A., Galerie der Stadt Sindelfingen
Emö Simonyi steht
mit ihrer Malerei, die sich seit 1998 von der Zweidimensionalität der Leinwand
auf die Dreidimensionalität von Kartonagen verlagert hat, fest in der künstlerischen
Tradition europäischer Kunst und Kultur. Sie scheint dem klassischen Expressionismus
ebenso nah, wie der neoexpressiven Bewegung der "Neuen Wilden",
dem dunklen nachtseitigen Werk eines Francisco Goya ebenso wie dem all ansichtigen
Sezieren des Menschenbildes durch einen Francis Bacon oder den Höllenvorstellungen
eines Hieronymus Bosch. Nichts ist ihr fremd. Nicht das ironisch Heitere und
schon gar nicht das Makabre. "Die schattigen Abgründe menschlicher Existenz
haben sie schon immer interessiert. Die "Schimären“ und
Es ist in
Simonyis Werk von jeher der Mensch, der eine zentrale Rolle einnimmt, mitunter
dem Tier konfrontiert, das oft genug auch im Menschen sichtbar wird.
Ihre Malerei
ist in ihren Anfängen und über die Jahre von einer eruptiven, ausdrucksstark
gesetzten Pinsel- und Farbstruktur gekennzeichnet. Diese mutet bisweilen fast
gewalttätig an in ihrem andauernden Fortissimo von Form- und Farbsetzung in
Eitempera auf der Zweidimensionalität der großen Leinwände. Starke Farbkontraste
in reinster Ausprägung werden von heftiger Pinselführung zur Geltung gebracht.
Erst in den achtziger Jahren setzt hier eine relative Beruhigung der Farbformen
ein, als Emö Simonyi sich auf den Weg macht, das zweidimensionale Bild in den
Raum hineinzuentwickeln.
Nun hat es in
der Kunst des 20. Jahrhunderts (und auch schon in anderen Epochen) Versuche
zuhauf gegeben, die Malerei von der Leinwand in den Raum zu lösen oder die
Leinwand zur Dreidimensionalität hin zu öffnen. Das offene Bild als
Errungenschaft der 50er und 60er Jahre ist in unterschiedlichster Weise in den
Raum getreten. Lucio Fontana hat die Leinwand durch den Schnitt zum Raum
erweitert, dem Sichtbaren eine nur ahnbare, unendlich denkbare Tiefe verliehen.
Gotthard Graubner hat der Leinwand eine Wölbung verschafft, die die Malerei zum
topographischen Ereignis machte. Jean Dubuffet hat die Malerei auf Figurationen
aus Polystyrol aufgebracht, diese aber als Skulpturen gesehen. Andere Maler
hielten ihre bildhauerischen Versuche streng getrennt von ihrer eigentlichen
Profession. Wo Bildhauer ihre dreidimensionalen Werke zur Steigerung der
Wirkung mit Farbe versahen, standen sie in der Tradition der Fassmaler, nicht
in der Malerei.
Emö Simonyi
geht in den 80er Jahren von der Leinwand auf die Flächen gefundener Pappkartons
jedweder Art und Größe, die sie zunächst auseinander faltet und auf dem so
gewonnenen unregelmäßigen Bildträger ihre Bilder entstehen lässt. Ihre
Figurationen passen sich collagenartig scheinbar der Form des Bildträgers an,
und sprengen diesen zugleich im malerischen Duktus. Bis zur raumschaffenden,
dreidimensionalen Malerei ihrer großen Kartonfiguren legt Emö Simonyi einen
weiten Weg zurück. Doch dann entstehen ab 1998 die aus Kartonschachteln
gestapelten, gebauten, montierten Figuren die bis zu über drei Metern Höhe sich
raumgreifend auftürmen, zu Gruppen sich zusammentun und doch auch stets starke
wie schwache Einzelpersönlichkeiten verkörpern.
Es scheinen
Menschen eines Riesengeschlechtes zu sein, die sich aus diesen Kartons zusammensetzen,
die in der Montage schon im unbemalten Zustand menschliche Figur assoziieren.
Und dennoch sind sie lediglich und eigentlich nicht mehr als die Träger der
Malerei, die auf den Kartonflächen um die Kartons herumgemalt wird, verhaltener
als auf den Leinwänden, großflächiger, darin auch beruhigter in der Wirkung. In
diesem Herummalen entstehen die Ansichten eines Kopfes, eines aus Stücken
zusammengefügten Körpers, der Beine, Arme, die über die Kanten mehrerer Kartons
gebrochen werden. Im Umschreiten der Figur erschließt sich erst der Mensch, der
sich hier in fast monolithischer Ausdruckshaftigkeit erhebt, steht, oder fällt
oder liegt. Diese Menschen scheinen in ihrer starken und ausdrucksstarken
Farbigkeit einer besonderen Spezies anzugehören und verkörpern dennoch nur uns
Menschen mit all unseren über die Jahrtausende erworbenen oder uns in
Mythologie, Märchen, in der Literatur und Überlieferung angedichteten
Eigenschaften, den guten wie den schlechten, wie den bösen. Sie sind
Stellvertreter in expressiver Übersteigerung sowohl der Größe als auch der
Erscheinung der den Menschen charakterisierenden Wesensmerkmale.
Sie sind
Ariadne und Kassandra. Sie sind Mutter und Transvestit. Sie sind Boxer und
Afrikanerin. Sie sind rote Figur und blaue Figur, Gigant und Frauenfigur. Und
sie sind Sphinx und Minotaurus, jene Mischwesen aus Tierkörper und Menschenkopf
oder Menschenkörper und Tierkopf, die zugleich die beiden Seiten menschlicher
Existenz symbolisieren.
Sie führen die
Geschichte der Menschheit vor Augen, in der erdenhaft dunklen Gestalt des
eigentlich arglosen, derben "Adam", der hinter und um "Eva"
herum ist, die in ihrer bleichen, grünlichen Erscheinung mit dem Sündenfall den
Verlust des ewigen Lebens und damit den Beginn der begrenzten Lebensexistenz
des Menschen in sich und hier sichtlich nach außen trägt. Eng verbunden teilen
sich die malerischen Existenzen die gleichen Kartonkubusse, bilden eine
skulpturale Einheit in der Zweisamkeit.
Gleichsam
verwandt ist die aus der Tradition des Totentanzes herrührende Figuration des
"Jüngling und Tod", in der der bleiche Knochenmann die noch
warmtonige Lebendigkeit ausstrahlende, füllige Gestalt des jungen Mannes fasst.
Auch hier sind beide Figuren in einer skulpturalen Formung untrennbar
miteinander verbunden. Die zwei Gesichter werden, frontal gesehen, je durch die
äußere Kartonkante halbiert, so als sollte damit die Kreuzigungsprophezeihung
des Johannes dem Totentanz verbunden werden zugleich aber auch ein Funken
Hoffnung auf Rettung keimen: was er heute ist, werde ich morgen sein, Leben und
Tod, Wange an Wange und doch nicht das Ende.
Auch in der
"Ohnmacht" treffen sich Leben und Tod, in farblicher Kontrastierung
von tiefem Blau und weißer Bleiche, erinnern in der Haltung der Figuren eher an
den Archetypus der Christlichen Bildtradition der Kreuzabnahme, mit der der Weg
zur Wiedererlangung des Lebens beginnt, der Rettung der Seelen im ewigen Leben.
Und auch Ohnmacht impliziert Rettung.
Die Thematik
von Leben und Tod zieht sich nicht nur mit diesen Paarungen durch das Werk von
Emö Simonyi, mit der zugleich die menschliche Existenz als unterschiedslos mit
der Geburt zugleich dem Tod geweiht erklärt wird.
Wir leben für
den Tod, friedlich, aber auch kriegerisch. So ist denn der
"Gefallene" dem Tod zugefallen, in seinem Liegen und der malerischen
Formung und Montage der bemalten Kartonagen ein gleichsam zerstückelter Körper,
der im dominanten Schwarz und Weiss seiner malerischen Existenz seiner
Auflösung entgegen geht. Er strahlt mit würdevoller Ruhe in den Raum aus.
Emö Simonyis
jüngste, eben erwähnte Malerei-Kartonskulpturen greifen aber nicht nur
europäische Bildtraditionen auf, wie sie in Kreuzabnahme oder Todestanz
Jahrhunderte lang Geschichte geschrieben haben, sondern liegen und stehen für
die Reflexionen der Künstlerin auf die menschlichen Verhaltens- und
Handlungsweisen der Gegenwart, einer Gegenwart, die weit mehr von kriegerischen
Auseinandersetzungen kündet als vom friedlichen Miteinander. Für diese
Gegenwart findet Emö Simonyi eindrückliche und ausdrucksstarke Gestalten von
überzeugender Größe, von imposanter Gebärdensprache, von mitunter eigenwilliger
Körperlichkeit etwa in malerischen Gesichtsbrechungen durch versetzt gestaffelte
Kartons, von Deformationen und körperlichen Reduktionen, die durch
gleichzeitige Kontrastierung mit drastisch real gegebenen Details konterkariert
werden.
Es sind
Figuren voller Spannung und Dramatik, die ihr Ausgeliefertsein, ihre Ängste,
ihr Schutzbedürfnis, ihre Ohnmacht, ihre Verletzlichkeit und ihre Offenheit
bezeugen. Sie sind nicht unbedingt eindeutig fassbar, vielmehr vielschichtig,
wenn nicht gar brüchig in dem, was sie vorstellen oder vorzustellen meinen.
Schon die
körper- und raumbildenden Kuben der Kartons und die Ummalung derselben führen
ihr Eigenleben, kommen zusammen um im nächsten Moment wieder auseinander zu
streben. Der Widerspruch ist diesen Malerei-Kartonskulpturen eingeboren. Aber
sind sie nicht gerade deshalb die idealen Verkörperungen menschlicher Existenz
in Geschichte und Gegenwart? Sie sind.