Ausstellung „Figuren“, Stadtmuseum im Spital, Crailsheim, 2003, mit Eckhard Froeschlin.

 

 

Malerei in der dritten Dimension

 

Otto Pannewitz M.A., Galerie der Stadt Sindelfingen

 

Emö Simonyi steht mit ihrer Malerei, die sich seit 1998 von der Zweidimensionalität der Leinwand auf die Dreidimensionalität von Kartonagen verlagert hat, fest in der künstlerischen Tradition europäischer Kunst und Kultur. Sie scheint dem klassischen Expressionismus ebenso nah, wie der neoexpressiven Bewegung der "Neuen Wilden", dem dunklen nachtseitigen Werk eines Francisco Goya ebenso wie dem all ansichtigen Sezieren des Menschenbildes durch einen Francis Bacon oder den Höllenvorstellungen eines Hieronymus Bosch. Nichts ist ihr fremd. Nicht das ironisch Heitere und schon gar nicht das Makabre. "Die schattigen Abgründe menschlicher Existenz haben sie schon immer interessiert. Die "Schimären“ und "Feuergötter“ in ihren frühen Bildern tanzen ebenso wie "Das ungleiche Paar" einen "danse macabre" (Hanne Weskott), der sich in ihren Zeichnungen sogar zu einem furioso steigert.

 

Es ist in Simonyis Werk von jeher der Mensch, der eine zentrale Rolle einnimmt, mitunter dem Tier konfrontiert, das oft genug auch im Menschen sichtbar wird.

 

Ihre Malerei ist in ihren Anfängen und über die Jahre von einer eruptiven, ausdrucksstark gesetzten Pinsel- und Farbstruktur gekennzeichnet. Diese mutet bisweilen fast gewalttätig an in ihrem andauernden Fortissimo von Form- und Farbsetzung in Eitempera auf der Zweidimensionalität der großen Leinwände. Starke Farbkon­traste in reinster Ausprägung werden von heftiger Pinselführung zur Gel­tung gebracht. Erst in den achtziger Jahren setzt hier eine relative Beruhigung der Farbformen ein, als Emö Simonyi sich auf den Weg macht, das zweidimensionale Bild in den Raum hineinzuentwickeln.

 

Nun hat es in der Kunst des 20. Jahrhunderts (und auch schon in anderen Epochen) Versuche zuhauf gegeben, die Malerei von der Leinwand in den Raum zu lösen oder die Leinwand zur Dreidimensionalität hin zu öffnen. Das offene Bild als Errungenschaft der 50er und 60er Jahre ist in unterschiedlichster Weise in den Raum getreten. Lucio Fontana hat die Leinwand durch den Schnitt zum Raum erweitert, dem Sichtbaren eine nur ahnbare, unendlich denkbare Tiefe verliehen. Gotthard Graubner hat der Leinwand eine Wölbung verschafft, die die Malerei zum topographischen Ereignis machte. Jean Dubuffet hat die Malerei auf Figurationen aus Polystyrol aufgebracht, diese aber als Skulpturen gesehen. Andere Maler hielten ihre bildhauerischen Versuche streng getrennt von ihrer eigentlichen Profession. Wo Bildhauer ihre dreidimensionalen Werke zur Steigerung der Wirkung mit Farbe versahen, standen sie in der Tradition der Fass­maler, nicht in der Malerei.

 

Emö Simonyi geht in den 80er Jahren von der Leinwand auf die Flächen gefundener Pappkartons jedweder Art und Größe, die sie zunächst auseinander faltet und auf dem so gewonnenen unregelmäßigen Bildträger ihre Bilder entstehen lässt. Ihre Figurationen passen sich collagenartig scheinbar der Form des Bildträgers an, und sprengen diesen zugleich im malerischen Duktus. Bis zur raumschaffenden, dreidimensionalen Malerei ihrer großen Kartonfiguren legt Emö Simonyi einen weiten Weg zurück. Doch dann entstehen ab 1998 die aus Kartonschachteln gestapelten, gebauten, montierten Figuren die bis zu über drei Metern Höhe sich raumgreifend auftürmen, zu Gruppen sich zusammentun und doch auch stets starke wie schwache Einzelpersönlichkeiten ver­körpern.

 

Es scheinen Menschen eines Riesengeschlechtes zu sein, die sich aus diesen Kartons zu­sammensetzen, die in der Montage schon im unbemalten Zustand menschliche Figur assoziieren. Und dennoch sind sie lediglich und eigentlich nicht mehr als die Träger der Malerei, die auf den Kartonflächen um die Kartons herumgemalt wird, verhaltener als auf den Leinwänden, großflächiger, darin auch beruhigter in der Wirkung. In diesem Herum­malen entstehen die Ansichten eines Kopfes, eines aus Stücken zusammengefügten Körpers, der Beine, Arme, die über die Kanten mehrerer Kartons gebrochen werden. Im Umschreiten der Figur erschließt sich erst der Mensch, der sich hier in fast monolithischer Ausdruckshaftigkeit erhebt, steht, oder fällt oder liegt. Diese Men­schen scheinen in ihrer starken und ausdrucks­starken Farbigkeit einer besonderen Spezies an­zugehören und verkörpern dennoch nur uns Menschen mit all unseren über die Jahrtausende erworbenen oder uns in Mythologie, Märchen, in der Literatur und Überlieferung angedich­teten Eigenschaften, den guten wie den schlechten, wie den bösen. Sie sind Stellvertreter in expressiver Übersteigerung sowohl der Größe als auch der Erscheinung der den Menschen charakterisierenden Wesensmerkmale.

 

Sie sind Ariadne und Kassandra. Sie sind Mutter und Transvestit. Sie sind Boxer und Afrikanerin. Sie sind rote Figur und blaue Figur, Gigant und Frauenfigur. Und sie sind Sphinx und Minotaurus, jene Mischwesen aus Tierkörper und Menschenkopf oder Menschenkörper und Tierkopf, die zugleich die beiden Seiten menschlicher Existenz symbolisieren.

 

Sie führen die Geschichte der Menschheit vor Augen, in der erdenhaft dunklen Gestalt des eigentlich arglosen, derben "Adam", der hinter und um "Eva" herum ist, die in ihrer bleichen, grünlichen Erscheinung mit dem Sündenfall den Verlust des ewigen Lebens und damit den Beginn der begrenzten Lebensexistenz des Menschen in sich und hier sichtlich nach außen trägt. Eng verbunden teilen sich die malerischen Existenzen die gleichen Kartonkubusse, bilden eine skulpturale Einheit in der Zweisamkeit.

 

Gleichsam verwandt ist die aus der Tradition des Totentanzes herrührende Figuration des "Jüngling und Tod", in der der bleiche Knochenmann die noch warmtonige Lebendigkeit ausstrahlende, füllige Gestalt des jungen Mannes fasst. Auch hier sind beide Figuren in einer skulpturalen Formung untrennbar miteinander verbunden. Die zwei Gesichter werden, frontal gesehen, je durch die äußere Kartonkante halbiert, so als sollte damit die Kreuzigungsprophezeihung des Johannes dem Totentanz verbunden werden zugleich aber auch ein Funken Hoffnung auf Rettung keimen: was er heute ist, werde ich morgen sein, Leben und Tod, Wange an Wange und doch nicht das Ende.

 

Auch in der "Ohnmacht" treffen sich Leben und Tod, in farblicher Kontrastierung von tiefem Blau und weißer Bleiche, erinnern in der Haltung der Figuren eher an den Archetypus der Christlichen Bildtradition der Kreuzabnahme, mit der der Weg zur Wiedererlangung des Lebens beginnt, der Rettung der Seelen im ewigen Leben. Und auch Ohnmacht impliziert Rettung.

 

Die Thematik von Leben und Tod zieht sich nicht nur mit diesen Paarungen durch das Werk von Emö Simonyi, mit der zugleich die menschliche Existenz als unterschiedslos mit der Geburt zugleich dem Tod geweiht erklärt wird.

 

Wir leben für den Tod, friedlich, aber auch kriegerisch. So ist denn der "Gefallene" dem Tod zugefallen, in seinem Liegen und der malerischen Formung und Montage der bemalten Kartonagen ein gleichsam zerstückelter Körper, der im dominanten Schwarz und Weiss seiner malerischen Existenz seiner Auflösung entgegen geht. Er strahlt mit würdevoller Ruhe in den Raum aus.

 

Emö Simonyis jüngste, eben erwähnte Malerei-Kartonskulpturen greifen aber nicht nur europäische Bildtraditionen auf, wie sie in Kreuzabnahme oder Todestanz Jahrhunderte lang Geschichte geschrieben haben, sondern liegen und stehen für die Reflexionen der Künstlerin auf die menschlichen Verhaltens- und Handlungsweisen der Gegenwart, einer Gegenwart, die weit mehr von kriegerischen Auseinandersetzungen kündet als vom friedlichen Miteinander. Für diese Gegenwart findet Emö Simonyi eindrückliche und ausdrucksstarke Gestalten von überzeugender Größe, von imposanter Gebärdensprache, von mitunter eigenwilliger Körperlichkeit etwa in malerischen Gesichtsbrechungen durch versetzt gestaffelte Kartons, von Deformationen und körperlichen Reduktionen, die durch gleichzeitige Kontrastierung mit drastisch real gegebenen Details konterkariert werden.

 

Es sind Figuren voller Spannung und Dramatik, die ihr Ausgeliefertsein, ihre Ängste, ihr Schutzbedürfnis, ihre Ohnmacht, ihre Verletzlichkeit und ihre Offenheit bezeugen. Sie sind nicht unbedingt eindeutig fassbar, vielmehr vielschichtig, wenn nicht gar brüchig in dem, was sie vorstellen oder vorzustellen meinen.

 

Schon die körper- und raumbildenden Kuben der Kartons und die Ummalung derselben führen ihr Eigenleben, kommen zusammen um im nächsten Moment wieder auseinander zu streben. Der Widerspruch ist diesen Malerei-Kartonskulpturen eingeboren. Aber sind sie nicht gerade deshalb die idealen Verkörperungen menschlicher Existenz in Geschichte und Gegenwart? Sie sind.

 

 

 

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