Katalogtext zu "SIMONYI EMÖ", C.Keller & Galerie MArkt 21, Weimar, 2011

Zwischen Realität und Fiktion: Emö Simonyis Bilder-Erzählungen


Wild, expressiv, narrativ, figurativ, farbig! Nähern wir uns den Bildern der ungarischen Malerin Emö Simonyi wird unser Betrachten zu einem sinnlichen Erlebnis, das sich schwer in Worte fassen, wohl aber erfahren lässt.

Dennoch sind einige Sätze, mit denen man sich Simonyis Bildern inhaltlich annähern kann möglich. Ich verstehe ihre Arbeiten nicht als einen künstlerischen Gegenentwurf zur Realität in denen sie nur ihre eigene Wirklichkeit schafft. Vielmehr finde ich die Schnittstelle interessant, innerhalb der sich ihre Fiktion und die Realität treffen und an unsere Wahrnehmung anknüpfen. Kennt man Simonyi persönlich, versteht man wie ihre Bilder ihr eigenes Leben widerspiegeln. Besucht man zum Beispiel ihre Geburtsstadt Budapest und geht ins Széchenyi-Bad, trifft man dort scheinbar die Menschen, die auch in ihren Bildern Schach spielen. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen Bild und tatsächlich erlebter Szene. Von Beobachtungen wie dieser ausgehend, geht Simonyi in ihren Bilder-Erzählungen weiter: So treffen sich bei diesen (Macht-)Spielen nicht nur Bischöfe im Schwefelbad auf eine Partie Schach, sondern auch Zirkusartisten an einem entlegenen Ort, um gemeinsam die nächsten Schachzüge zu beratschlagen. Die Szene wird dabei meist von den abgebildeten Menschen selbst beherrscht, die häufig nackt sind. Sie werden kaum durch individuelle Merkmale differenziert. Die dargestellten Szenen erscheinen somit zeitlos und nicht weiter verortbar. Sie werden aus der konventionellen Wahrnehmung unserer Gesellschaft herausgelöst betrachtbar. Abstrahierende Schritte wie diese kennzeichnen die Bildregie Simonyis.

Ihr geht es im Wesentlichen nicht um den mimetischen, also den naturalistisch abbildenden Darstellungsgehalt ihrer Bilder. Die virtuos gemalten Bilder, meist in Eitempera, können eher als eine Farbsinfonie verstanden werden. Simonyi erschafft eine Bühne, auf der sie die Regie übernimmt und ihre Darsteller die Szene bestimmen lässt.

Wie Magritte (in der Malerei: „Der Verrat der Bilder“) und Foucault (im Text: „Dies ist keine Pfeife“) bereits nachvollziehbar aufgezeigt haben, ist der dargestellte Gegenstand – bei Magritte die Pfeife – nie der Gegenstand selbst, sondern das Bild davon. Jedem Bild wohnt somit per se ein gewisser Abstraktionsgrad inne. So lässt Simonyi beim Malen ihrer Bilder Klänge und Strukturen entstehen, die in einem gegenseitigen Spannungsverhältnis in Beziehung treten. Diese werden mit figurativen Inhalten in den „Stillleben“ und „Hühnerhofbildern“ beispielsweise, erweitert. Die Grenzen zwischen Mensch- und Tiersein verwischen in den Bildvorstellungen zum Teil. Das wird offensichtlich, wenn man die Tuschezeichnungen zu den Evangelisten genauer anschaut. Auch dann wenn sich die Nackten zu einem Bad in „Initiation“ treffen, unterscheiden sie sich kaum von den „Flamingos“; zumindest auf der faktischen Ebene, da beide im Wasser hocken, welches für Mensch und Tier lebenswichtig ist. Doch was macht der Mann neben den Flamingos? Handelt es sich hierbei lediglich um eine harmlose Badeszene, wie wir sie häufig bei Corinth oder Cézanne finden, oder geht es um weit mehr, als das, was uns das Bild scheinbar oberflächlich zeigen mag? Wieder ist die Szene offen und der Betrachter muss die „Leerstelle“ selbst füllen.

Expliziter wird die Regisseurin an anderer Stelle: So treffen sich die Akteure zum Teil „animalisch“ in den Bildern „Cena“ und „Fülle“ – zu einem „großen Fressen“. Die irreal erscheinende Szene mit dem Kühlschrank, in dem rohes Fleisch zum Verzehr bereit steht gewinnt an Dramatik nicht zuletzt durch die virtuos inszenierte Farbigkeit. Diese abstrahiert ebenfalls vom naturalistischen Erscheinungsbild und entführt den Betrachter in eine Szene, die in einem grotesken Licht erscheint.

Einerseits war und ist Simonyi eine Einzelkämpferin, aber andererseits ist sie nie allein. Sie unterrichtet unter anderem an der Akademie der Bildenden Künste München zahlreiche Schüler und Studenten mit denen sie auch noch nach Jahren in engem Kontakt steht. Der ungeheure Schaffensdrang, die eigene Arbeit voranzubringen sowie die Bereitschaft, in der Lehre tätig zu sein und andere zu fördern sind charakteristisch für Simonyi. In München kam es in den 80er-Jahren zu einem Austausch mit mehreren dort arbeitenden informellen Künstlergruppen, wie: Spur, Geflecht und Herzogstraße. Aus diesem fortwährenden gegenseitigen Interesse heraus erarbeitete sich Simonyi ihre eigene – figurative – Malerei. Dieses ‚Eigene‘ ist mitunter die narrative Ebene in ihren Bildern, die bei der nonfigurativen Malerei einen anderen Stellenwert einnimmt. So suchte sie nach weiteren verwandten Künstlerpositionen und fand diese beispielsweise auf Reisen nach London in Francis Bacon, der sie entscheidend prägen sollte.

Wie bereits beschrieben erwachsen die Bilder aus ihren Erlebnissen und ihrer Umgebung. Gehen wir aus ihrer Wohnung in Budapest vor die Tür, kommen wir gleich zum Franz-Liszt-Platz. Dort befindet sich die nach ihm benannte Musikakademie, an der er selbst noch zu Lebzeiten wirkte. 2011 jährt sich der Geburtstag von Liszt zum 200. Mal. Zahlreiche Ausstellungen begleiten dieses Jubiläumsjahr und die persönlichen Bezüge zu Weimar lassen an dieser Stelle wieder die Wege der beiden Künstler kreuzen. Alte Erinnerungen werden wieder wach.

Denn als 6-Jährige ist Simonyi sogar einmal aus einer Kirche herausgeworfen worden, als sie sich selbst im Orgelspiel übte. Die Begeisterung, die Tasten selbst zum Klingen zu bringen entbrannte bei den Musikproben der eben beschriebenen Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest, denen die heranwachsende Künstlerin hinter einem schweren Vorhang versteckt lauschte. Es überrascht also nicht, wenn Simonyi – aus der dann doch eine Malerin werden sollte – trotzdem über formale Bezüge zur Musik von Liszt spricht. Nicht zuletzt mit den Motiven zum „Totentanz“ und den „Ungarischen Rhapsodien“ finden wir gleiche Themen bei beiden Künstlern. In Liszts Etüden, Sinfonien und Rhapsodien können sich Strukturen und Klänge wiederfinden lassen, die denen der Malereien Simonyis zum Teil sehr ähneln können. Leise, spielerische Töne treffen auf solide Klanggerüste. Malerische Kontraste verdichten sich an einer Stelle, um an anderer Stelle wieder aufgelöst zu werden.

Liszt deckt mit seinem Lebenswerk nicht nur eine enorme Bandbreite künstlerischen Schaffens ab und zeigt, was es heißt, konsequent seine Arbeit weiter zu entwickeln. Er war auch stark in der Lehre tätig. Es lassen sich noch weitere Gemeinsamkeiten im Leben der beiden Künstler finden: Ein oft ambivalent erscheinender Bezug zur Heimat Ungarn, das Leben zwischen den Staaten mit den damit verbundenen häufigen Reisen von einem ins andere Land... Für beide können die daraus resultierenden Erfahrungen ebenso wie Erzählungen, Zigeunergeschichten, Mythen, Motive aus der Literatur sowie Ideen anderer Künstler als ein treibender Motor hinsichtlich ihrer künstlerischen Arbeit gesehen werden. All diese Eindrücke bieten den Künstlern einen enormen Erzählstoff der verarbeitet werden muss.

Umso interessanter erscheint es, dass Simonyi inhaltlich – meiner Meinung nach – nicht nur individuelle Mythen beschreibt, sondern Bilder existentieller Situationen findet, die uns alle betreffen.

 

Robert Weissenbacher


 

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